Steffen ist freier Autor und lebt in Köln und Barcelona.…
Sexpositive Partys werden in Deutschland immer beliebter. Doch was steckt hinter diesem Trend und was erwartet dich auf einer solchen Veranstaltung? Unser Autor war auf einer sexpositiven Party in Berlin – und berichtet von seinen Erlebnissen.
Was ist eine sexpositive Party?
Als ich das erste Mal von einer sexpositiven Party hörte, habe ich nur mit dem Kopf geschüttelt und mir einen heruntergekommenen Swingerclub am Rande der Stadt vorgestellt, vollgestopft mit notgeilen, älteren Herren, die es noch einmal so richtig wissen wollen. Als ich dann jedoch selbst auf einer sexpositiven Party landete, habe ich verstanden: Ich lag mit meiner Einschätzung völlig daneben. Sexpositive Partys sind null Komma null mit herkömmlichen Swingerclub-Events zu vergleichen. Doch dazu später mehr.
Berliner Nächte sind lang
Mein erster Besuch auf einer sexpositiven Party war alles andere als geplant: Ich war mit ein paar Freunden in Berlin-Kreuzberg unterwegs. Wir hatten ein bisschen was am Kottbusser Tor getrunken und Lust, tanzen zu gehen. In einer Bar trafen wir auf Hannah und Gil, die uns von der „craziest party in the city” erzählten, auf die sie später noch gehen wollten. Sie luden uns ein, mitzukommen – und logisch: Wir willigten ein.
Dass es keine „normale” Party sein würde, das ahnte ich bereits, als wir in der Schlange vor dem Club warteten: Viele Männer und Frauen trugen Fetisch-Kostüme, extravagante Verkleidungen, freizügige Outfits, die deutlich mehr Haut zeigten, als sie bedeckten. Als wir den Club betreten wollten, ermahnte uns die Türsteherin, eine robuste Drag Queen: „Jungs, ihr dürft gerne reinkommen, aber nicht so.” Sie deutete auf unsere Klamotten. Hannah und Gil klärten uns augenzwinkernd auf: „You have to take off some clothes if you want to get in, guys.”
Was passiert auf einer sexpositiven Party?
Wie alle anderen Besucher, so gaben auch wir unsere Kleidung an der Garderobe ab. Halbnackt, voller Scham und Aufregung folgten wir den anderen ins Innere des Clubs, einem alten, verwinkelten Kellergewölbe. Während wir auf der Tanzfläche zu lauter Techno-Musik tanzten, nahm ich wahr, wie sich manche Besucher in den dunklen Ecken des Clubs intensiv näher kamen. Keinen im Club schien das zu stören. Ganz im Gegenteil. Erotische Begegnungen schienen sogar ausdrücklich erwünscht zu sein.
Ich gebe zu: Bei meinem ersten Besuch auf einer sexpositiven Party war ich ein kleines bisschen überfordert. So viele nackte Körper, die sich auf der Tanzfläche begegneten und berührten. So viele dunkle Ecken und Räume, die einluden, miteinander intim zu werden. Menschen, die ganz offen ihre Fetische auslebten und in Latex- und Lederanzügen durch den Club spazierten, sich von anderen bewundern ließen oder sich an der Bar ein Bier bestellten, während ihnen jemand einen Blowjob gab.
„Everything is possible tonight”, hatten Hannah und Gil vorab zu mir gesagt. Und nach einiger Zeit verstand ich sehr gut, was sie damit meinten.
Haben auf einer sexpositiven Party alle miteinander Sex?
Nein. Natürlich nicht. Eine sexpositive Party ist schließlich kein Puff, sondern ein „safer space”, ein Ort, der erotische Kontakte ermöglicht, aber nicht erzwingt. Ungezwungen, unkompliziert und komplett ohne Verpflichtungen. Das ist die Idee hinter einer sex-positiven Party. Du allein entscheidest, wie weit du gehen möchtest. Du willst dich lediglich auf der Tanzfläche auspowern? No Problem. Du möchtest mit jemandem intim werden und neue sexuelle Dinge ausprobieren? Ebenfalls no problem.
Welche Regeln gibt es auf einer sexpositiven Party?
Eine sexpositive Party kann natürlich nicht ohne Regeln funktionieren. Dort wo wildfremde Menschen halbnackt aufeinander treffen, braucht es klare Grenzen und Absprachen. Daher gilt auf einem sexpositivem Event immer folgendes:
Konsens ist die Grundvoraussetzung
Auf einer sexpositiven Party ist zunächst alles erlaubt. Einzige Voraussetzung: Alle Beteiligten haben Bock und willigen ausdrücklich ein, mitzumachen. Wer zu betrunken oder high ist, der- oder diejenige sollte nicht unter Druck gesetzt werden. Auch wenn jemand plötzlich nicht mehr mitmachen möchte, sollte das von allen Beteiligten respektiert werden. Jeder Mensch hat das Recht, neue Dinge auszuprobieren, aber eben auch: sich umzuentscheiden und „Nein” zu sagen.
Awareness-Teams helfen durch die Nacht
Auf sexpositiven Partys gibt es sogenannte Awareness-Teams. Das sind Menschen, die das Partygeschehen im Blick behalten und sich um Besucher kümmern, die zu betrunken oder zu high sind. Fällt dir ein Gast unangenehm auf, weil er ein anderen auf sehr aufdringliche Art und Weise belästigt? Wende dich an das Awareness-Team.
Sei tolerant
Auf sexpositiven Partys verschwimmen alle Geschlechter und Sexualitäten. Ob Mann mit Frau, Mann mit Mann oder Frau mit Frau. Ob heterosexuell, homo, bi- oder pansexuell – in Nächten wie diesen gibt es keine gesellschaftlichen Grenzen und Einordnungen. Fühl dich frei, neue Dinge und Erfahrungen auszuprobieren. Es lebe die sexuelle Vielfalt!
Aufklärung matters
Du möchtest mehr über einen bestimmten Fetisch erfahren? Du hast eine Frage zu einem ganz bestimmten Outfit, das jemand trägt? Sprich die anderen Gäste auf sexpositiven Partys einfach an. In der Regel werden sie dir offen und freundlich begegnen und versuchen, deine Fragen ehrlich zu beantworten. Aufklärung spielt auf sexpositiven Partys eine wesentliche Rolle – genauso ein respektvolles und freundliches Miteinander.
Wo finden sexpositive Partys statt?
Berlin hat sich mittlerweile zur Hauptstadt der sexpositiven Partys entwickelt. Der Kitkat Club ist weltweit bekannt für seine hedonistischen Events. Und auch die sexpositive Partyreihe „Porn” von dem Berliner Künstlerkollektiv Pornceptual hat sich längst zu einem Event von internationalen Bekanntheit gemausert.
Natürlich gibt es auch in vielen anderen Städten sexpositive Partys und Events. Eine kleine Übersicht von weiteren Veranstaltungen und sexpositiven Kollektiven findest du hier:
- München: „Lovers”
- Köln: „Kinky Circus” (in Planung)
- Wien: „Zusammen Kommen”
- Barcelona: „Fulanitos Events”
Warum sind sexpositive Partys so wichtig?
Sexpositiv bedeutet keineswegs, überall und mit jedem Sex zu haben – sondern: sich wertfrei, offen und respektvoll zu begegnen und andere Menschen so zu akzeptieren wie sie sind. Vor allem für junge Leute bietet eine sexpositive Party einen „safer space”, eine einzigartige Möglichkeit, sich selbst, ihren Körper und ihre Sexualität vorurteilsfrei kennenzulernen – fernab von allen gesellschaftlichen Zwängen und Stereotypen.
Ich selbst habe mich bei meiner ersten sexpositiven Party noch zurückgehalten, das Geschehen aus der Ferne beobachtet und die freiheitliche, erotisch aufgeladene Atmosphäre sehr genossen. Und trotzdem sollten Hannah und Gil am Ende Recht behalten: Es war tatsächlich die verrückteste Party, auf der ich je gewesen bin. Und eines steht fest: Es wird ganz sicher nicht mein letzter Besuch auf einer sexpositiven Party gewesen sein.
Steffen ist freier Autor und lebt in Köln und Barcelona. Er war als Content Marketing Manager und Brand Manager für verschiedene Casual Dating Webseiten tätig und hat ein Buch zum Thema Sexualität veröffentlicht.